UN-Nachhaltigkeitsziel
Mit innovativen Herstellungsverfahren spart Covestro Energie sowie Rohstoffe und senkt Emissionen.
Ein kleiner Schlauch aus weißem Textil, fest und trotzdem elastisch. Pavan Manvi muss schon beide Hände nehmen, um das Material etwas in die Länge zu ziehen, so groß ist der Widerstand. „Das Gewebe ist genauso dehnbar, wie es bei einem Kompressionsstrumpf sein muss“, stellt der Forscher des Instituts für Textiltechnik an der RWTH Aachen University zufrieden fest. Das perfekte Resultat ist keineswegs selbstverständlich. Denn bei der Herstellung haben Manvi und seine Kollegen ganz neue Wege beschritten: Die Fasern des Prototyps bestehen teilweise aus einem Molekül, von dem wir alle in der Luft umgeben sind und das im Ruf steht, maßgeblich zur Erderwärmung beizutragen: Kohlendioxid.
Nun ist mit CO2 ein Forschertraum Realität geworden. Das im Überfluss vorhandene Treibhausgas kann einen Teil der knappen Ressource Erdöl ersetzen, das die Chemie- und Kunststoffindustrie bislang überwiegend als Rohstoff nutzt. Denn beide enthalten den wertvollen Kohlenstoff, den man für so viele Produkte braucht. Auch für Textilien.
Kunstfasern aus CO2
Das macht sich auch Manvi zunutze: Ihm und seinen Kollegen in Aachen sowie Forschern von der Technischen Universität Berlin und von Covestro ist es gemeinsam gelungen, synthetische Fasern mit CO2 marktgerecht herzustellen und in ersten Kleidungsstücken zu verarbeiten.
„Wir haben bewiesen, dass wir in unserer Schmelzspinnanlage leistungsfähige Fasern aus thermoplastischem Polyurethan in größerem Maßstab produzieren können, dabei fossile Rohstoffe einsparen und gleichzeitig den CO2-Fußabdruck gegenüber herkömmlichen Kunstfasern verkleinern“, sagt Manvi, der das Forschungsprojekt seit drei Jahren an der RWTH vorantreibt. „Außerdem können wir auf Lösungsmittel verzichten und damit die Umweltbilanz weiter verbessern.“
Wir können leistungsfähige Fasern mit CO2 produzieren
Pavan Manvi, Institut für Textiltechnik, RWTH Aachen University
Fossile Ressourcen sparen
Zugrunde liegt der Kunstfaserproduktion ein bahnbrechendes Verfahren, das Covestro und Partner erarbeitet haben. Damit können erstmals bis zu 20 Prozent Erdöl durch CO2 in Polyol, einem der Ausgangsstoffe von Polyurethanen, ersetzt werden. Das ist nicht leicht, denn Kohlendioxid ist sehr träge. Man braucht eigentlich viel Energie, um damit chemische Reaktionen zu ermöglichen. Aber ein spezieller Katalysator, den Covestro mitentwickelt hat, hält den Energieaufwand in Grenzen. „Dank dieses Forschungsdurchbruchs sind wir jetzt in der Lage, Polyole auf Basis von CO2 im industriellen Maßstab herzustellen“, sagt Dr. Christoph Gürtler, der die Katalyseforschung bei Covestro leitet.
Das neuartige Vorprodukt namens cardyon® wurde zunächst für den Einsatz in weichem Polyurethan-Schaumstoff konzipiert. Anwendungsgebiet: Matratzen und Polstermöbel. Verbraucher können bereits entsprechende Produkte kaufen. Seit Kurzem macht cardyon® aber auch im Sport von sich reden: So wurde das Material für den neuen Kunststoffboden eines renommierten Hockeyclubs in Krefeld verwendet (siehe „Fit mit CO2“).
Nächster Schritt bei der Nutzung von Kohlendioxid
Fit mit CO2
Weltneuheit: Erstmals lassen sich nun auch Sportböden mit CO2 herstellen. Der weltweit erste Belag dieser Art ist seit 2018 bei einem Hockeyverein in Krefeld in Gebrauch. Covestro hat dafür ein neues Bindemittel auf CO2-Basis entwickelt. Schon etwas länger am Markt ist weicher Schaumstoff, der mit Kohlendioxid hergestellt wird.
Im Test bei Textilproduzenten
Und als weiterer Anwendungsbereich könnte nun die Textilindustrie hinzukommen. Erste Unternehmen haben die elastischen Fasern aus CO2 schon getestet und zu Garnen, Socken, Kompressionsschläuchen und Bändern verarbeitet. Den Textilproduzenten ist es wichtig, dass das neue Material dieselbe Qualität hat und genauso gut verarbeitet werden kann wie herkömmliche Fasern. „Wir wollen über verschiedene Wertschöpfungsstufen hinweg testen, wie die neue Technologie nutzbar gemacht werden kann“, sagt Dr. Jochen Norwig. Der Chemiker koordiniert bei Covestro ein von der Europäischen Union gefördertes Forschungsprojekt, in dessen Rahmen auch die neuen CO2-Fasern entwickelt werden.
Covestro zielt aber auf noch mehr Bereiche. „CO2 wird als neuer Rohstoff zunehmend zum Allrounder“, weiß Katalyseexperte Gürtler und liegt hier auf einer Linie mit anderen Fachleuten aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft (siehe „Weg vom Öl“). „Neben Kunstfasern und der Textilindustrie haben wir noch viele weitere Anwendungen und Branchen im Visier. So arbeiten unsere Forscher etwa daran, Kohlendioxid auch zur Herstellung von Autositzen oder Dämmstoffen für Gebäude und Kühlgeräte zu nutzen.“
Branchenübergreifend kooperieren
Besonders faszinieren Gürtler und seine Kollegen die breiten industrieübergreifenden Ansätze, etwa in dem europaweiten Forschungsprojekt „Carbon4PUR“: Hier arbeiten 14 Partner aus sieben Ländern unter Führung von Covestro daran, aus Abgasen der Stahlindustrie wie CO2 und Kohlenmonoxid den Kohlenstoff für chemische Prozesse zu gewinnen, den bislang das Erdöl liefert. „Letztlich wollen wir CO2 in vielen weiteren Kunststoffarten einbauen. Und möglichst große Mengen fossiler Rohstoffe durch das Molekül ersetzen“, sagt Gürtler. Immer mit dem Ziel, Kohlenstoff so intelligent wie möglich zu nutzen und den Kohlenstoff-Kreislauf zu schließen.
Rohstoffgipfel 2018
Weg vom Öl
Starke Partner, besondere Kompetenzen, unterschiedliche Blickwinkel – so lassen sich schwierige Jobs am besten meistern. Das finden jedenfalls die Technische Universität Berlin, die Chemievereinigung DECHEMA und Covestro – und luden erneut gemeinsam in die Räumlichkeiten der Hochschule zum Rohstoffgipfel 2018 ein. Ein Stelldichein namhafter Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft, Gesellschaft und Politik, um eine Herausforderung zu beleuchten, die wahrlich nicht einfach ist: Wie kann die Chemieproduktion mit Blick auf den Klimaschutz noch mehr Energie sparen und Ressourcen schonen? Wie sinnvoll ist der Einsatz nachhaltiger Rohstoffe aus Pflanzen und CO2, um die Abhängigkeit von fossilen Quellen wie Erdöl zu verringern? Wie weit kann man, wie weit soll man hier gehen?
Wir unterstützen, dass fossile Rohstoffe ersetzt werden.
Dr. Georg Schütte, Staatssekretär Bundesministerium für Bildung und Forschung
Deutliche Worte kamen etwa von Dr. Erika Bellmann, Senior Policy Advisor bei der Umweltorganisation WWF Deutschland: „Mit der Fokussierung auf Kohle, Gas und Öl haben wir die Klimakrise ausgelöst und heizen sie noch immer weiter an. Deshalb müssen wir weg von den fossilen Rohstoffen und hin zu neuen.“ Die Rahmenbedingungen dafür sind günstig. So fördert die Europäische Union entsprechende Projekte. Auch die deutsche Regierung hat sich eine Rohstoffwende auf die Fahnen geschrieben.
„Innovative Technologien ermöglichen es schon heute, nachhaltige Chemikalien und Kraftstoffe der Zukunft herzustellen“, erklärte Dr. Georg Schütte, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, das als Schirmherr des Rohstoffgipfels fungierte. „Wir unterstützen den Ersatz fossiler Rohstoffe durch gezielte Forschungsförderung im Bereich der Bioökonomie und der Nutzung von CO2. So sichern wir auch unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit.“
Impulse dazu erhoffte sich der Gipfel vor allem von jungen Unternehmen. Als Signal für mehr Gründerspirit wurden während der Veranstaltung im Rahmen eines Ideenwettbewerbs fünf Start-ups aus drei Kontinenten zu den „Resource Innovators 2018“ gekürt. Auf Platz eins kam die Firma Mineral Carbonation International aus Australien. Ihr Ansatz: aus CO2 und Mineralien Baumaterialien und andere Industriegüter produzieren.
Weitere Informationen zum Thema CO2 finden Sie auf der Website der Technischen Universität Berlin.