Da, hören Sie?“ Yilan Li schnippt mit ihrem Finger gegen das glänzend schwarze Gehäuse. Nun gut, es macht „pling“, wie man es von Metall eben erwartet. Nur – das hier ist gar keines. Der Mantel um die beiden mannshohen Türme, die zusammen eine hochmoderne Klimaanlage bilden, besteht aus Kunststoff. Ein Kunststoff, der sich anfühlt und klingt wie Metall? Und der auch noch gut aussieht – in diesem Fall edel wie gebürstetes Aluminium? Dazu superleicht, extrem robust, mit ungeahnten Möglichkeiten für Designer?

„Das sind CFRTP, ein ganz neuer Verbundwerkstoff“, erläutert Yilan Li. Endlosfaserverstärkte Thermoplaste bedeutet die englische Abkürzung in der Fachsprache von Experten wie der Marktentwicklerin Li, die am asiatischen Forschungszentrum von Covestro in Shanghai arbeitet. Sie war entscheidend daran beteiligt, dass dieses Material für das elegante Klimagerät des chinesischen Haier-Konzerns ausgewählt wurde, der weltweiten Nummer eins bei „weißer Ware“ – wie solche Haushaltsgeräte aufgrund ihrer üblichen Farbe auch genannt werden.

Covestro und Haier ist mit den neuen Composites ein echter Durchbruch gelungen.

Shao Qingru, Designerin, Haier Group

CFRTP, das ist so etwas wie ein perfektes Paar. Der eine Partner, Kohlenstoff- oder Glasfasern, bringt Kraft und Leichtigkeit in die Verbindung. Die andere Seite, Kunststoffe wie Polycarbonat oder thermoplastisches Polyurethan, steuert unter anderem Flexibilität, Widerstandsfähigkeit und die ganz besondere Formbarkeit bei.

Verbundwerkstoff (Foto)

Schlank und fit: Der neue Verbundwerkstoff von Covestro besteht aus dünnen schwarzen Bändern (links). Übereinandergelegt entstehen daraus besonders feste und leichte Platten. Zur Herstellung benötigt man Fasern und den Hochleistungskunststoff Polycarbonat (rechts).

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten

Solch eine Kombination guter Eigenschaften ist äußerst gefragt am Markt – von vielen Firmen und Industriezweigen, die hochwertige Werkstoffe benötigen. Hinzu kommt, dass die neuen Composites namens Maezio™ mit spezifischen Funktionen versehen sowie besonders schnell und effizient hergestellt werden können. Und man kann sie recyceln.

Ein Kosmos an Möglichkeiten somit, aus dem Li und ihre Kollegen schöpfen, um nach immer mehr Anwendungsbereichen für das junge Material zu suchen. „Sorry, wenn es hier etwas unaufgeräumt ist“, sagt die 39-Jährige und weist in dem Loft umher, in dem sie ihren Arbeitsplatz hat. Ein Hauch von Garagenfirma: In einer Ecke lehnt ein Elektroroller, von der Decke baumeln Teile eines Leihrads. Und auf einem der Tische liegen lauter Laptopdeckel. In den verschiedensten Farben und mit unterschiedlichen Oberflächen – aber alle besonders dünn, besonders leicht. „Im Vergleich zu einer konventionellen Magnesium- Aluminium-Legierung erreichen wir Gewichtseinsparungen von rund 15 Prozent“, betont Li.

Das ist Wasser auf die Mühlen der Elektronikindustrie, die bei ihren Notebooks, Tablets und Smartphones ganz besonders auf eine schlanke Linie achtet. Aber auch in anderen Branchen besteht großes Interesse an dem neuen Verbundwerkstoff. Bei Sportartikelherstellern zum Beispiel wie dem chinesischen Start-up Bmai (siehe „Marathon mit MaezioTM“). Aber auch Autos, Möbel, Koffer, medizinisches Gerät und vieles mehr tauchen auf dem Anwendungsradar auf.

Edler Look (Grafik)

Edler Look:

Produzenten von Haushaltsgeräten sind von der ästhetischen Qualität der Composites angetan.

Extrem stabil (Grafik)

Extrem stabil:

Schuhherstellern hilft das Material, weil es dem Fuß besonders guten Halt bietet.

Federleicht (Grafik)

Federleicht:

In der Autoindustrie zählt wenig Gewicht – der neue Verbundwerkstoff macht es möglich.

Superdünn (Grafik)

Superdünn:

In der Elektronikbranche kommen CFRTP-Composites besonders wegen ihrer schlanken Linie an.

Marktlücke wird geschlossen

„Viele Industriezweige wollen sehr robuste und leichte Werkstoffe, mit denen immer dünnere Teile gefertigt und in die Funktionen integriert werden können. Hinzu kommt der Wunsch nach einer effizienteren Produktion. Mit unserem neuen Hightech-Werkstoff schließen wir diese Lücke“, resümiert Lisa Ketelsen, die von Shanghai aus das CFRTP-Geschäft von Covestro leitet.

Dessen Keimzelle befindet sich allerdings rund 14 Flugstunden weit weg, auf dem Lande in Süddeutschland. Dort hatten ein paar Ingenieure vor über zehn Jahren die Idee mit der Verbindung aus Fasern und thermoplastischem Kunststoff und gründeten eine kleine Firma. Covestro hat sie im Jahr 2015 übernommen und weiterentwickelt. Drei Jahre später fiel der Startschuss zur kommerziellen Produktion, seither werden aus dem kleinen Ort Markt Bibart CFRTP-Folien und -Platten in alle Welt geliefert (siehe „Composite Valley auf dem Lande“).

Hightech-Produktion

Composite Valley auf dem Lande

Hightech made in Franken (Foto)

Hightech made in Franken: Blick in die CFRTP-Produktion in Markt Bibart.

Markt Bibart: ein idyllisches Städtchen in Franken, wo das Brauchtum gepflegt wird und das mit seiner schönen landschaftlichen Umgebung wirbt. Die Produktion von Hightech würde man hier eher nicht vermuten. Doch genau die findet in einer unscheinbaren grauen Halle am Ortsrand statt: Seit März 2018 stellt Covestro hier in Großserie seinen neuartigen Verbundwerkstoff CFRTP her. Einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag hat das Unternehmen in das Werk investiert.

Warum eine Produktion im ländlichen Raum, noch dazu weit weg von den großen Covestro-Standorten im Rheinland oder an der Nordsee? Eine entscheidende Rolle hat auch gespielt, dass die Region so etwas ist wie ein Composite Valley: Heimat namhafter Hochschulen, die intensiv an der Weiterentwicklung von Verbundwerkstoffen forschen und mit denen Covestro eng kooperiert – die Universität Bayreuth, die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sowie Neue Materialien Fürth GmbH, eine vom Land Bayern getragene Forschungseinrichtung.

Hier arbeitet der Senior Engineer André Lück: „Wir sehen weltweit einen wachsenden Bedarf an Materialien, die robust und leicht sind und zugleich effizient in großer Menge hergestellt werden können“, sagt der Experte für Composite-Entwicklungen. „Verbundwerkstoffe aus faserverstärkten thermoplastischen Kunststoffen erfüllen diese Anforderungen in besonderem Maße.“

Haier in China findet vor allem die große Gestaltungsfreiheit und das neuartige Erscheinungsbild der Composites bestechend. „Schon als ich das Material das erste Mal gesehen habe, war ich sehr angetan von seiner ästhetischen Qualität. Da war es nur natürlich, dass wir uns sofort dafür interessiert haben“, sagt Shao Qingru aus dem Designteam des Unternehmens.

Der Weg bis in die Luxus-Klimaanlage von Haier war allerdings lang und steinig. Erst einmal mussten Yilan Li und ihre Covestro-Kollegen eine ganze Wertschöpfungskette aufbauen. Denn die Verarbeiter hatten ja noch gar keine Erfahrungen mit dem neuen Vorprodukt. „Wir sind von Anbieter zu Anbieter gelaufen“, erinnert sich Li. Schließlich habe man mit der Firma Suzhou Yichangtai Plastic auch auf diesem Gebiet den richtigen Partner gefunden. „Die Zeit für faserverstärkte thermoplastische Kunststoffe ist gekommen“, prophezeit deren Geschäftsführer Chen Jinming. „Wer in diese Technologie investiert, wird einen Wettbewerbsvorteil haben.“

15%

Laptopgehäuse aus CFRTP sind im Vergleich zu einer konventionellen Magnesium-Aluminium-Legierung rund 15 Prozent leichter.

Neue Werkstoffe nicht leicht zu finden

Auch Shao Qingru von Haier ist froh und optimistisch. „Neue Werkstoffe sind nicht leicht zu finden. Und der Aufwand, den es braucht, sie erfolgreich bis ins Endprodukt zu bringen, ist hoch“, sagt die Designerin. „Ich glaube, dass Covestro und Haier hier ein echter Durchbruch gelungen ist.“

Man sieht: Nicht nur Faser und Kunststoff sind ein gutes Team. Sondern auch Materialentwickler, Zulieferer und Händler.

Interview

Marathon mit Maeziotm

Axis Liu (Foto)

Designprofi: Axis Liu vom chinesischen Sportbekleidungshersteller Bmai.

Er ist in China ein Renner: der Mile 42 K Lite, ein Marathonschuh von Bmai. Der erst 2015 gegründete Sportbekleidungshersteller setzt auf erschwingliche Produkte für jedermann und den Direktvertrieb über das Internet. Und auf ganz besonders leistungsfähige Materialien. Daher wurde der neue Verbundwerkstoff von Covestro jetzt in einer „Limited Edition“ des Schuhs eingesetzt. Axis Liu, Chefdesigner bei Bmai, sagt warum.

Schuhproduzenten sind immer auf der Suche nach neuen Technologien und Materialien. Was ist der Grund dafür?

In unserer Branche muss man besonders darauf achten, bei der Positionierung der Marke stets die Nase vorn zu haben, auch technologisch. Zu den Haupttreibern für Innovationen in der Schuhindustrie gehören neue Materialien. Hier gibt es eine große Auswahl, aber besonders gefragt sind leichte Werkstoffe, die für bessere Unterstützung und Stabilität am Fuß sorgen sowie die Leistung der Sportler steigern.

Was hat Sie bewogen, ein ganz neues Material wie Maezio™ von Covestro für den Schaft Ihres neuen Modells zu verwenden?

Diese Composites sprechen uns gleich aus mehreren Gründen an. Besonders interessant ist die Textur, die in eine Richtung verläuft. Dadurch unterscheiden sich die Oberflächen von den herkömmlichen faserbasierten Materialien, die ein Webmuster aufweisen. So können wir eine frische ästhetische Anmutung erzielen. Und das Beste: Die neuen Composites sind ein besonders nachhaltiges Material, denn sie können recycelt werden.

Weitere Informationen zu den CFRTP-Composites finden Sie auf unserer Website.